Der portugiesische König João V. ist als Förderer der Künste in die Geschichte eingegangen und führte den Beinamen "Der Großherzige". Seine Regentschaft dauerte von 1706 bis 1750. Sein Hauptwerk, was die Förderung der Künste betrifft, ist vermutlich der gigantische Palastbau von Mafra. Dieser Palast sollte ursprünglich nur ein Kloster für 80 Franziskaner werden, als Dankopfer des Königs für den lange ersehnten Nachwuchs. Von 1717 bis 1730 dauerte der Bau und wurde immer größer, am Ende umfasste er weit über tausend Zimmer. Bei Wiki steht zu lesen, dass zeitweise über 50 000 Arbeitskräfte unter Aufsicht am Bau schufteten. Unter welchen Umständen wurden diese Menschen angeheuert, und welches Schicksal erwartete sie und ihre Familien? Das ist das Thema des Romans "Das Memorial".
Die Hauptfiguren sind neben dem König, dessen Gedanken und Beweggründe hin und wieder beleuchtet werden, vor allem der ehemalige Soldat Baltasar, der auf dem Schlachtfeld die linke Hand verloren hat, und seine mit mit seherischen Kräften begabte Geliebte Blimunda. Die beiden begegnen einander in Lissabon und leben dort einige Zeit in der Nähe des Paters Bartolomeus, der davon träumt, eine Flugmaschine zu bauen. Wie genau diese Maschine angetrieben werden soll, wird nicht ganz klar - jedenfalls benötigt Bartolomeus dafür "die versammelte Willenskraft von mindestens tausend Menschen", die Blimunda in Fläschchen sammeln soll, und zwar von Sterbenden, in dem Moment, als sich die Seele vom Körper trennt. Eine Pestepidemie sorgt dafür, dass genug Willenskräfte zusammenkommen, um die Maschine anzutreiben. Was hier märchenhaft (oder auch bloß verstiegen) klingt, ist von Saramago metaphorisch gemeint. Die einfachen Menschen, die von ihrer Hände Arbeit gerade mal das Leben fristen können, unter der Willkür eines Despoten und dem Druck der Inquisition, haben ihre eigene Vision - davonzufliegen mit der geeinten Willenskraft der Wehr- und Machtlosen.
Die Überzeugungskraft dieses wunderbar geschriebenen Romans beruht natürlich darauf, dass die Eckdaten historisch verbürgt sind - der gigantische Palastbau, für den Äcker und Gärten umgepflügt und die Bauern mit Gewalt zur Arbeit gezwunden wurden, die grässlichen Unfälle, der gewaltige Hochzeitszug des Königs, sogar die Tätigkeit des jüngeren Scarlatti am Hof als Musiklehrer der Königstochter (Scarlatti ist übrigens der einzige weitere Mensch, der neben den drei erwähnten in das Flugmaschinenprojekt eingeweiht wird). Was die Geschichte aber vor allem so "wahr" macht, ist der überbordende Stil, die erzählerische Wucht, die Saramago entwickelt. In der Fülle der Details, die alle organisch ins Geschehen eingebunden sind, und der Wirkung des mitreißenden Sprachflusses erinnerte mich das Buch ein wenig an "Ein Nashorn für den Papst" von Lawrence Norfolk, aber an literarischer Bedeutung ist Saramago ihm noch weit überlegen.
Ein selbstreferierendes Augenzwinkern bleibt übrigens auch nicht aus: "Leb wohl, sagten sie, weiter nichts, denn es wissen die einen nicht, Sätze zu bauen und die anderen nicht, sie zu verstehen, doch mit dem Hingang der Zeiten findet sich da immer einer, der sich ausdenkt, daß diese Dinge gesagt worden sein könnten, oder er erspinnt sie, und am Ende sind die ersponnenen Geschichten wahrer als die wahren Fälle, die sie erzählen".
"Am Ende sind die ersponnenen Geschichten wahrer"
Der portugiesische König João V. ist als Förderer der Künste in die Geschichte eingegangen und führte den Beinamen "Der Großherzige". Seine Regentschaft dauerte von 1706 bis 1750. Sein Hauptwerk, was die Förderung der Künste betrifft, ist vermutlich der gigantische Palastbau von Mafra. Dieser Palast sollte ursprünglich nur ein Kloster für 80 Franziskaner werden, als Dankopfer des Königs für den lange ersehnten Nachwuchs. Von 1717 bis 1730 dauerte der Bau und wurde immer größer, am Ende umfasste er weit über tausend Zimmer. Bei Wiki steht zu lesen, dass zeitweise über 50 000 Arbeitskräfte unter Aufsicht am Bau schufteten. Unter welchen Umständen wurden diese Menschen angeheuert, und welches Schicksal erwartete sie und ihre Familien? Das ist das Thema des Romans "Das Memorial".
Die Hauptfiguren sind neben dem König, dessen Gedanken und Beweggründe hin und wieder beleuchtet werden, vor allem der ehemalige Soldat Baltasar, der auf dem Schlachtfeld die linke Hand verloren hat, und seine mit mit seherischen Kräften begabte Geliebte Blimunda. Die beiden begegnen einander in Lissabon und leben dort einige Zeit in der Nähe des Paters Bartolomeus, der davon träumt, eine Flugmaschine zu bauen. Wie genau diese Maschine angetrieben werden soll, wird nicht ganz klar - jedenfalls benötigt Bartolomeus dafür "die versammelte Willenskraft von mindestens tausend Menschen", die Blimunda in Fläschchen sammeln soll, und zwar von Sterbenden, in dem Moment, als sich die Seele vom Körper trennt. Eine Pestepidemie sorgt dafür, dass genug Willenskräfte zusammenkommen, um die Maschine anzutreiben. Was hier märchenhaft (oder auch bloß verstiegen) klingt, ist von Saramago metaphorisch gemeint. Die einfachen Menschen, die von ihrer Hände Arbeit gerade mal das Leben fristen können, unter der Willkür eines Despoten und dem Druck der Inquisition, haben ihre eigene Vision - davonzufliegen mit der geeinten Willenskraft der Wehr- und Machtlosen.
Die Überzeugungskraft dieses wunderbar geschriebenen Romans beruht natürlich darauf, dass die Eckdaten historisch verbürgt sind - der gigantische Palastbau, für den Äcker und Gärten umgepflügt und die Bauern mit Gewalt zur Arbeit gezwunden wurden, die grässlichen Unfälle, der gewaltige Hochzeitszug des Königs, sogar die Tätigkeit des jüngeren Scarlatti am Hof als Musiklehrer der Königstochter (Scarlatti ist übrigens der einzige weitere Mensch, der neben den drei erwähnten in das Flugmaschinenprojekt eingeweiht wird). Was die Geschichte aber vor allem so "wahr" macht, ist der überbordende Stil, die erzählerische Wucht, die Saramago entwickelt. In der Fülle der Details, die alle organisch ins Geschehen eingebunden sind, und der Wirkung des mitreißenden Sprachflusses erinnerte mich das Buch ein wenig an "Ein Nashorn für den Papst" von Lawrence Norfolk, aber an literarischer Bedeutung ist Saramago ihm noch weit überlegen.
Ein selbstreferierendes Augenzwinkern bleibt übrigens auch nicht aus: "Leb wohl, sagten sie, weiter nichts, denn es wissen die einen nicht, Sätze zu bauen und die anderen nicht, sie zu verstehen, doch mit dem Hingang der Zeiten findet sich da immer einer, der sich ausdenkt, daß diese Dinge gesagt worden sein könnten, oder er erspinnt sie, und am Ende sind die ersponnenen Geschichten wahrer als die wahren Fälle, die sie erzählen".